Individuelles Wohlbefinden von Patienten stärker beachten

38. Ärztetag des Erzbistums Paderborn diskutiert über „Lebensqualität in der Medizin“

Der Mensch ist mehr, als einfach nur gesund oder krank. Darum spielen in der Medizin mittlerweile auch nicht mehr nur körperliche Befunde und ihre medizinische Behandlung eine Rolle. Zunehmend geht es auch um das individuelle Wohlbefinden der Patienten. Über dieses Umdenken in der Heilkunde ging es beim 38. Ärztetag des Erzbistums Paderborn. Unter der Überschrift „Lebensqualität in der Medizin“ diskutierten am Samstag, 29. Oktober, 130 Medizinerinnen und Mediziner im Paderborner Bildungs- und Tagungshaus Liborianum die Perspektiven und Entwicklungen dieses Paradigmenwechsels.

Gleich zu Beginn des Ärztetages ging Diözesanadministrator Monsignore Dr. Michael Bredeck auf den noch recht jungen Begriff der gesundheitsbezogenen Lebensqualität ein. Diese umschreibe das Mehr, das über die bloß mess- und objektivierbare Unterscheidung zwischen gesund oder krank hinausgehe. Sie führe aus Sicht der Theologie und der Ethik zu einem ganzheitlichen Blick auf den Menschen. Deshalb plädiere er auch für eine stärkere Achtung der individuellen Bedürfnisse von Patienten in der Medizin. Dies entspreche nicht nur einer umfassenden „Kultur der Sorge“, sondern auch einem bleibenden Maßstab ethischen Handelns in der Medizin.

„Diese Perspektive ermöglicht Ärztinnen und Ärzten einen Einblick in das subjektive Erleben des Patienten, seine eigene Bewertung und Haltung“, sagte der Gastgeber des Ärztetages. „So blickt auch ein kranker Mensch nicht nur auf ein körperliches Leiden, sondern er ist in seinen unterschiedlichen Lebensdimensionen immer mit betroffen: seelisch, sozial und spirituell.“ Gleichzeitig solle mit dem Plädoyer für die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse aber die Errungenschaft technisch präziser Analysemethoden keinesfalls in Abrede gestellt werden.

 

Was wünscht sich der Patient?

Für ein immer genaueres Bild vom Gesundheits- oder Krankheitszustand des Menschen blieben technische Analysemethoden unerlässlich und für behandelnde Ärztinnen und Ärzte auschlaggebende Instrumente für Diagnose und Therapie. „Niemand von uns möchte sie missen.“ Dennoch gebe es Bereiche, in denen mit dem Begriff der Lebensqualität die individuelle Perspektive und Einschätzung des Patienten neu und stärker zu gewichten sei.

Als Beispiel nannte Monsignore Dr. Bredeck Fälle, wenn Krankheiten nicht oder nicht mehr heilbar sind und sich die Fragen stellen, was noch getan werden kann und was sich der Patient selbst wünscht, „um die verbleibende Zeit seines Lebens bejahen zu können“. Ganz ähnlich verhalte es sich bei chronischen, aber nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen oder in Situationen, in denen schwere seelische Leiden zu ertragen sind, ohne dass ihre Ursache medizinisch verändert werden könnte. „In diesen und ähnlichen Situationen spielt die Frage nach der empfundenen Lebensqualität eine entscheidende Rolle“, so die Einschätzung vom Leiter des Bereichs Pastorale Dienste im Erzbischöflichen Generalvikariat, der auch Vorsitzender der Planungsgruppe für den Ärztetag ist.

 

Der Mensch braucht Resonanz

Welche Bedeutung Lebensqualität inzwischen in der Praxis hat, erörterten die Referierenden dieses Ärztetages aus ihrer je eigenen Fachperspektive. Professor Dr. Martin Dürnberger aus Salzburg erklärte, dass Lebensqualität als Begriff in der Theologie wenigstens historisch selten vorkomme. Hier sei eher von „menschlichem Gedeihen“ die Rede, womit zunächst Wohlstand, Gesundheit, langes Leben und Fruchtbarkeit gemeint gewesen sei.

Dann kam es mit der Zeit im Denken zu einer Entkoppelung von menschlichem Gedeihen und göttlichem Urteil. „Es gibt keinen Tun-Ergehen-Zusammenhang“, sagte der Theologe. Heute seien soziologische Indikatoren für Lebensqualität Gesundheit, Geld und Gemeinschaft. „Ein gutes Leben hängt damit zusammen, viele Möglichkeiten zu haben“, auch wenn die Gefahr bestehe, diese als Lebensqualität irgendwann gar nicht mehr wahrnehmen zu können. Was der Mensch brauche, sei letztlich Resonanz, die nicht erzwungen werden könne. Religion habe dann die Rolle, mit dem Unverfügbaren umgehen zu können.

 

Lebensqualität als Kriterium für medizinische Entscheidungen

Im Anschluss brachte dann der Mediziner und Theologe Professor Dr. Dr. Gereon Heuft aus Münster seine Beobachtungen aus dem Bereich der Psychosomatik und der Psychotherapie ein. Anhand von praktischen Beispielen demonstrierte er, welche Bedeutung die Lebensqualität als Kriterium für medizinische Entscheidungen haben kann.

Aus seiner Sicht sei stets zu berücksichtigen, dass bei jeder Behandlung von Beginn an immer zwei Seiten den „hoffnungsvollen Entwurf einer glückenden Weiterentwicklung des Lebens mit einer gewissen Lebensqualität“ tragen. Darum müssten sich Ärztinnen und Ärzte auch immer wieder hinterfragen, ob sie selbst als Behandelnde nicht zur „Idealisierung“ ihrer Therapieziele neigen. So bleibe gerade auch bei schwer Erkrankten zu fragen, ob „eine Weiterentwicklung in der Behandlungsplanung auch der Weg zu einem guten Sterben bedeuten“ könne.

Bei den zu Behandelnden sei hingegen wahrzunehmen, dass viele die Wahrscheinlichkeit positiver Ereignisse überschätzen, gleichzeitig aber die Wahrscheinlichkeit negativer Ereignisse unterschätzen würden, zum Beispiel die gesundheitsschädliche Auswirkung des eigenen Verhaltens. Dann könne auch immer wieder die Erfahrung gemacht werden, „wie wichtig es für Erkrankte sein kann, eine irrationale Hoffnung auf Heilung aufgeben zu können“. Allerdings sei aus religiös-christlicher Perspektive „das Aufgeben des Kämpfens gegen einen chemo- oder strahlentherapeutisch nicht mehr aufhaltbaren Tumorprozess und das innere Einverständnis mit dem eigenen Sterben nicht mit Hoffnungslosigkeit gleichzusetzen“.

 

Relevanz, Erfassung und Interpretation von Lebensqualität

Auch für Professorin Dr. Susanne Singer aus Mainz ist die Frage nach Lebensqualität in der Medizin von beobachtbar zunehmender Bedeutung. Sie spiele gerade für Patienten offensichtlich eine große Rolle. Das zeigten verschiedene Studien, erklärte die Medizinerin in ihrem Beitrag „Lebensqualität in der Onkologie“. Dabei nahm sie auch anhand von praktischen Beispielen aktuelle Entwicklungen in den Blick und ging insbesondere auf die Relevanz der Lebensqualität sowie auf die Erfassung und Interpretation von Lebensqualität in Medizin und medizinischer Forschung ein. Inzwischen sei sie an vielen Stellen zu einem festen Kriterium geworden, auch zur Beurteilung von Medikamenten.

Auf Grundlage der Referate kamen dann bei der Podiumsdiskussion alle Teilnehmenden miteinander in den Austausch und brachten ihre je eigenen Erfahrungen mit der gesundheitsbezogenen Lebensqualität in Theorie und Praxis mit ein. Moderiert wurde sie von Dr. Ulli Polenz, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin in Paderborn-Wewer und Mitglied der Planungsgruppe des Ärztetages. Durch den Tag führte Dr. Werner Sosna, zuständiger Bildungsreferent im Bildungs- und Tagungshaus Liborianum und Mitglied der Planungsgruppe für den Ärztetag.

 

Neues Mitglied der Planungsgruppe des Ärztetages

Im Rahmen des diesjährigen Ärztetages wurde der Geschäftsführer des Diözesanen Ethikrates im Caritasverband für das Erzbistum Paderborn, Moraltheologe Dr. Johannes Kudera, als neues Mitglied der Planungsgruppe des Ärztetages vorgestellt und willkommen geheißen.

Den Ärztetag veranstaltet das Erzbistum Paderborn in Kooperation mit der Akademie für medizinische Fortbildung der Ärztekammer Westfalen-Lippe.

 

Ein Beitrag von: Benjamin Krysmann,
Erzbischöfliches Generalvikariat, Abteilung Kommunikation, Team Presse